* 1. 4. 1908 (Brooklyn, New York), + 8. 6. 1970 (Menlo Park, Kalifornien)
Lebensdaten und Bedeutung: Sohn jüdischer russischer Immigranten; studierte Psychologie am City College of New York, an der Cornell University und der University of Wisconsin, wo er 1934 sein Studium beendete. Anfänglich vom Behaviorismus fasziniert, wendete er sich später davon ab, als er anlässlich der Geburt seiner ersten Tochter eine „>mystische Erfahrung durchlebte. Ab 1937 unterrichtete Maslow für 14 Jahre am Brooklyn College, New York, wo er in Kontakt mit Karen Horney, Erich Fromm, Alfred Adler, Max Wertheimer und Ruth Benedikt kam. 1951 wurde er Vorstand der Psychologischen Abteilung an der Brandeis University (Waltham, Mass.), wo er bis 1969 blieb. 1968 wurde er zum Präsidenten der American Psychological Association gewählt. Kurz vor seinem Tod an einer Herzattacke 1970 ging er in die Laughlin Foundation in Menlo Park, Kalifornien. Maslow war Ende der 50er Jahre Mitbegründer der Humanistischen Psychologie, gemeinsam mit Carl Rogers, Rollo May und anderen. Sie betrachteten ihre Bewegung als „dritte Kraft der Psychologie“, als Alternative zu den orthodoxen Schulen der Psychoanalyse und des Behaviorismus. Maslow (1985: 15) spricht von einer „Gesundheits- und Wachstumspsychologie“ im Gegensatz zur „Defizit-Psychologie“ der beiden anderen genannten, wobei ihm die Integration beider Aspekte sehr am Herzen lag. Gleichzeitig gilt Maslow als Mitbegründer der Transpersonalen Psychologie (gemeinsam mit Tony Sutich, Stan Grof u.a.). Er betrachtete die Humanistische Psychologie als Vorbereitung für eine „noch höhere ‚vierte Psychologie‘, die überpersönlich („> transpersonal), transhuman ist, ihren Mittelpunkt im All hat, nicht in menschlichen Bedürfnissen und Interessen, und die über Menschlichkeit, Identität, Selbstverwirklichung und ähnliches hinausgeht“ (Maslow 1985: 11f).
Theoretische Verdienste: Im Mittelpunkt der Vorstellungen Maslows steht die Selbstverwirklichung („self-actualisation“). Nach seiner Auffassung haben alle Menschen einen aktiven Willen zur Gesundheit (physiologisch und psychologisch) und streben die höchsten Stufen ihrer Möglichkeiten und Potenziale an. Dies beinhaltet auch die Suche nach den höchsten Stufen des „>Bewusstseins und der Weisheit. Diese Entwicklung wird von einer Hierarchie der Motivation bzw. der Bedürfnisse gelenkt. Maslow entwickelte dieses hierarchische Modell in den 40er Jahren. Meist wird es durch eine Pyramide repräsentiert, in der alle basalen Bedürfnisse an der Basis angeordnet sind und diejenigen, die die höchsten Potenziale des Menschen betreffen, an der Spitze. Jede Stufe der Pyramide ist abhängig von der vorherigen Stufe, d.h. die Befriedigung eines basaleren Bedürfnisses ist die Voraussetzung für das Auftauchen des nächst höheren. Maslow unterscheidet fünf solcher Stufen (von unten nach oben):
1. Physiologische Bedürfnisse: biologisch bedingte Bedürfnisse nach Sauerstoff, Nahrung, Wasser und einer relativ konstanten Körpertemperatur. Diese Bedürfnisse sind die stärksten, da der Mensch bei Nichterfüllung sterben würde.
2. Sicherheitsbedürfnisse: Bedürfnisse nach Sicherheit und Stabilität, Schutz, Strukturen, Grenzen, frei sein von Furcht, Angst und Chaos. Diese treten in Zeiten der Not oder Perioden der Desorganisation in der sozialen Struktur verstärkt hervor.
3. Bedürfnisse nach Liebe, Zuwendung und Zugehörigkeit: Bedürfnis, Liebe und Zuwendung zu geben und zu empfangen und sich zugehörig zu fühlen. Die Frustration dieser Bedürfnisse führt zu Einsamkeit, Isolation und Entfremdung.
4.Bedürfnisse nach Achtung: Menschen brauchen einen stabilen, fest gegründeten, hohen Level an Selbst-Respekt und Respekt von anderen, um sich zufrieden, selbstbewusst und wertvoll zu fühlen. Wenn diese Bedürfnisse nicht erfüllt werden, fühlt sich die Person unterlegen, schwach, hilflos und wertlos.
5. Selbstverwirklichungsbedürfnisse: Maslow beschreibt Selbstverwirklichung als das Bedürfnis einer Person, das zu sein und zu tun, wozu sie geboren wurde. Es ist seine „Berufung“: „[…], d.h., man spürt in sich selbst einen Drang in Richtung auf die Einheit der Persönlichkeit zu, der spontanen Expressivität, der vollen Individualität und Identität“ (Maslow, 1985: 158). Wenn diese Bedürfnisse nicht eingelöst werden, fühlt sich die Person rastlos, angespannt, mit dem Gefühl, dass etwas fehlt. Niedere Bedürfnisse mögen ebenfalls ein rastloses Gefühl hervorrufen, aber hier ist es viel einfacher, den Grund zu finden.
Maslow glaubt, dass der einzige Grund, warum Menschen nicht durch die Bedürfnis-Pyramide zur Selbstverwirklichung fortschreiten, darin liegt, dass ihnen von der Gesellschaft Hindernisse in den Weg gelegt werden, z.B. durch repressive und nicht-fördernde Erziehung. Er tritt daher vehement für die Schaffung von politischen und gesellschaftlichen Bedingungen ein, um Wachstum im Sinne der Selbstverwirklichung zu fördern. Maslow studierte eine Reihe selbstverwirklichter Menschen (z.B. Lincoln, Schweitzer, Einstein, Jefferson, Eleanor Roosevelt u.a.), die sich von den meisten Menschen durch ungewöhnliche psychologische Gesundheit unterschieden. Folgende Charakteristika konnte er u.a. dabei beobachten (Maslow 1985: 41): größere Wahrnehmung der Realität; wachsende Akzeptierung seiner selbst, der anderen und der Natur; zunehmende Spontaneität; bessere Problemzentrierung; größere Frische des Verständnisses, größerer Reichtum der emotionalen Reaktionen; höhere Frequenz an „>Gipfel-Erfahrungen; wachsende Identifikation mit der menschlichen Spezies; veränderte, tiefergehende zwischenmenschliche Beziehungen; demokratische Charakterstruktur; stark zunehmende Kreativität. Besonders dem Aspekt der Gipfel-Erfahrungen widmete Maslow sehr viel Aufmerksamkeit und beschreibt deren Charakteristika ausführlich in seinem Buch „Psychologie des Seins“ (Maslow 1985: 83ff.): Sie treten spontan und universell auf und sind transzendenter Natur. Sie weisen auf die Einheit der Welt hin und können Zeit und Raum überschreiten. Sie haben den Geschmack des Wunders und des Numinosen und hinterlassen ein Gefühl von Ehrfurcht und Einmaligkeit. Obgleich Maslow in den Begriff auch die mystischen Erfahrungen mit einschließt, geht er davon aus, dass Gipfelerlebnisse zu den natürlichen Erfahrungen des Menschen gehören und auch ohne religiösen Kontext erlebbar sind (z.B. in Krisensituationen, beim Fasten, Naturerlebnisse etc.).
Autor: Hans Peter Weidinger